Päpstliche Wappen-Usurpation

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Tejas552
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Päpstliche Wappen-Usurpation

Beitrag von Tejas552 » 13.01.2020, 21:49

Wie ich im Text zum Reichlin v. Meldegg-Wappen schrieb gab es offenbar einen Fall in dem ein Papst ein Wappen usurpiert hat:

Papst Pius IV 1559-1565 entstammte einer unbedeutenden Mailänder Familie namens MEDIGINIO. Als er zum Papst gewählt wurde (oder schon früher?) passte er seinen Namen an und nannte sich MEDICI. Zudem wählte er das Wappen der Medici als sein Papst-Wappen. Pius IV war mit den Medici nicht verwandt und hätte keinen wappenrechtlichen Anspruch auf das Wappen der Medici gehabt.

Ich vermute, dass es sich bei dem Fall der Schwyzer Familie Reichlin ganz ähnlich verhielt. Ursprünglich hiess diese bäuerliche Familie RICHLIG und RICHLI. Als sie im 18. Jh. sozial aufstieg, musste ein Wappen her. Der Name wurde an dessen der Adelsfamilie Reichlin v. Meldegg angepasst und deren Wappen wurde, bis auf kleine Änderungen im Oberwappen, übernommen. So könnte es sich zumindest zugetragen haben.

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Re: Päpstliche Wappen-Usurpation

Beitrag von GM » 13.01.2020, 22:47

Tja, so hat man halt früher versucht - in Ermangelung von social media - die Zahl seiner „Follower“ zu steigern :wink: .

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Tejas552
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Re: Päpstliche Wappen-Usurpation

Beitrag von Tejas552 » 14.01.2020, 09:03

Das Thema Wappen-Usurpation wird auch von Bernhard Peter behandelt.

http://www.welt-der-wappen.de/Heraldik/ ... pation.htm

Laut Peter ist die Anzahl der Wappenusurpationen "riesig". Einige der von Peter geschilderten Beispiele passen vom Muster her sehr gut auf den Fall der Schwyzer Reichlins. Ein gemeinsamer Faktor bei diesen Wappen-Usurpationen ist offenbar das Vorhandensein einer gewissen Namensähnlichkeit.

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Re: Päpstliche Wappen-Usurpation

Beitrag von GM » 14.01.2020, 11:39

Tejas552 hat geschrieben:
14.01.2020, 09:03
[...] das Vorhandensein einer gewissen Namensähnlichkeit.
... war ja oft. auch die Grundlage für viele Schwindelwappen :evil: .

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Tejas552
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Re: Päpstliche Wappen-Usurpation

Beitrag von Tejas552 » 14.01.2020, 13:34

GM hat geschrieben:
14.01.2020, 11:39
Tejas552 hat geschrieben:
14.01.2020, 09:03
[...] das Vorhandensein einer gewissen Namensähnlichkeit.
... war ja oft. auch die Grundlage für viele Schwindelwappen :evil: .
... Obwohl ich glaube, dass Bernhard Peter den Bogen etwas überspannt. Es wird wohl auch viele Fälle gegeben haben, in denen man in gutem Glauben von Namensgleichheit (oder Ähnlichkeit) auf eine gemeinsame Abstammung geschlossen hat. Man darf nicht vergessen, dass die Quellenlage damals vielfach ungleich schlechter war als heute und vor Volks-Etymologien waren auch die Gelehrten nicht gefeit. So hatte man auch den Dänen zeitweise eine Abkunft von den Helden von Troia angedichtet, weil die Griechen im Illiad auch Danaoi heissen.

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Re: Päpstliche Wappen-Usurpation

Beitrag von Jochen » 14.01.2020, 15:02

Tejas552 hat geschrieben:
14.01.2020, 13:34

.... Es wird wohl auch viele Fälle gegeben haben, in denen man in gutem Glauben von Namensgleichheit (oder Ähnlichkeit) auf eine gemeinsame Abstammung geschlossen hat. Man darf nicht vergessen, dass die Quellenlage damals vielfach ungleich schlechter war als heute und vor Volks-Etymologien waren auch die Gelehrten nicht gefeit.....
Ich würde sagen, daß die weitaus meisten Fälle genauso geartet sein dürften, wie Du es vermutest. Und ich denke auch daß heute über manchem Sofa im Wohnzimmer ein Wappen prangt, daß genau wegen solcher Gutgläubigkeit dort hingehängt wurde.
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Re: Päpstliche Wappen-Usurpation

Beitrag von Tejas552 » 15.01.2020, 10:06

Jochen hat geschrieben:
14.01.2020, 15:02

Ich würde sagen, daß die weitaus meisten Fälle genauso geartet sein dürften, wie Du es vermutest. Und ich denke auch daß heute über manchem Sofa im Wohnzimmer ein Wappen prangt, daß genau wegen solcher Gutgläubigkeit dort hingehängt wurde.
Dies führt dann wieder zur Frage ob man ein gutgläubig angenommenes Wappen "ersitzen" kann. Bernhard Peter verneint dies vehement auf seiner Webseite mit theoretischen Argumenten. Wenn man aber die Fälle betrachtet, die er selber anführt, dann kommt man zum Schluss, dass das "Ersitzen" möglich ist und eine Aufgabe eines "ersessenen" Wappens, wie Peter sie fordert, in vielen Fällen nicht praktikabel ist.

Insbesondere kann ich seinen Bezug zum Namensrecht nicht nachvollziehen. Schliesslich führen viele Familien dieselben Nachnamen obwohl sie nicht verwandt sind. Die Neuannahme eines Namens führte auch nicht zum Verlust des Rechtes an dem Namen bei einem bisherigen Träger.

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Re: Päpstliche Wappen-Usurpation

Beitrag von GM » 15.01.2020, 10:43

Tejas552 hat geschrieben:
15.01.2020, 10:06
[...] Bernhard Peter verneint dies vehement [...]
Wie war das andernorts mit der "Leidenschaft" ? 8)

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Re: Päpstliche Wappen-Usurpation

Beitrag von Jochen » 15.01.2020, 11:53

Tejas552 hat geschrieben:
15.01.2020, 10:06


Dies führt dann wieder zur Frage ob man ein gutgläubig angenommenes Wappen "ersitzen" kann. Bernhard Peter verneint dies vehement auf seiner Webseite mit theoretischen Argumenten. Wenn man aber die Fälle betrachtet, die er selber anführt, dann kommt man zum Schluss, dass das "Ersitzen" möglich ist und eine Aufgabe eines "ersessenen" Wappens, wie Peter sie fordert, in vielen Fällen nicht praktikabel ist.
...
Rechtsempfinden führt in juristischen Sachverhalten selten zum Ziele, so "vehement" es auch vertreten werden mag.

Die Lösung des Problems ist hier allerdings wohl nicht die "Ersitzung" denn nur "Sachen" können ersessen werden.

Nach meinem Dafürhalten ist die sogenannte "unvordenkliche Verjährung" die Lösung, ein Begriff aus dem Kirchenrecht.

https://de.wikipedia.org/wiki/Unvordenk ... C3%A4hrung

Wendet man diesen Gedanken an, kommt man zum konsequenten Schlusse: Ja, ein gutgläubig angenommenes Wappen kann durchaus, unter bestimmten zeitlichen Bedingungen, weitergeführt werden.
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Re: Päpstliche Wappen-Usurpation

Beitrag von Tejas552 » 15.01.2020, 14:53

Jochen hat geschrieben:
15.01.2020, 11:53
… unvordenklich ...
Das Wort muss ich unbedingt in meinen aktiven Wortschatz aufnehmen.

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Re: Päpstliche Wappen-Usurpation

Beitrag von Jochen » 15.01.2020, 15:26

Auch ein wunderbares Wort ist "Rechtsfrieden".

https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsfrieden

Ersitzung und Verjährung sind Rechtsinstitute, die dazu geeignet sind, Rechtsfrieden herzustellen, daß also hundertjährige Fehden wie bei "Asterix auf Korsika" vermieden werden.

Es ist ja andererseits auch nicht so, daß die Unvordenkliche Verjährung (oder beispielsweise auch die Ersitzung) automatisch einträte(n):

1. Natürlich muß der an sich Unberechtigte sich im Recht fühlen. Es darf also zu keinem Zeitpunkte einem an sich Unberechtigten klar gewesen sein, daß er eigentlich im Unrecht war.

2. Es darf über einen langen Zeitraum hinweg keine Beanstandung gegeben haben.

3. Eine Beanstandung kann nur möglich gewesen sein, wenn der wahre Rechtsinhaber die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Rechtsbruch hatte.

4. Möglichkeit der Kenntnisnahme konnte der wahre Rechtsinhaber nur haben, wenn das Wappen vom an sich Unberechtigten offen geführt wurde.

Insofern sind da durchaus Hürden. Aber die sind tatsächlicher Natur.
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Re: Päpstliche Wappen-Usurpation

Beitrag von GM » 15.01.2020, 22:00

Die Lektüre dieses Forums ist das reinste Studium Universale :D .
Sollten weder Ersitzung noch unvordenkliche (wirklich tolles Wortgetüm :lol: ) Verjährung greifen, so kann dem Problem immer noch durch Aussitzung begegnet werden :mrgreen:.

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