Rassismus-Debatte erreicht die Heraldik

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Tejas552
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Rassismus-Debatte erreicht die Heraldik

Beitrag von Tejas552 » 19.06.2020, 07:44

Die gegenwärtige Rassismus-Debatte hat nun auch die Heraldik erreicht. Zahlreiche Orts- und Familienwappen habe einen Mohren oder einen oder mehrere Mohrenköpfe im Wappen. Diese Motive lösen offenbar vermehrt Unbehagen aus, wie die Artikel unten zeigen. Man beachte den Twitter-Einschub im ersten Artikel mit der Überschrift "Hier noch einige Gemeinden, die ihre Wappen zügig ändern müssen":

https://www.nau.ch/news/schweiz/rassism ... n-65723094
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/l ... -138148921

Meiner Ansicht nach wäre es völlig falsch diese Wappen aufzugeben oder zu ändern. Vielmehr sollten sie vor dem Hintergrund der Zeit, in der sie Entstanden sind, gesehen werden. Es sind schliesslich auch historische Dokumente.

Könnte aber eine Familie mit Nachnamen Mohr sich heute noch ein Wappen mit Mohrenkopf-Figur zulegen? Vermutlich käme das wohl nicht mehr in Frage.
Ich bin sehr gespannt wie das weitergeht.

Gruss
Dirk

Ein guter Beitrag zum Thema Mohr findet sich in der Heraldik Wiki
https://www.heraldik-wiki.de/wiki/Mohr_(Heraldik)
Beste Grüsse
Dirk

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Berlingo
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Re: Rassismus-Debatte erreicht die Heraldik

Beitrag von Berlingo » 19.06.2020, 09:21

Tejas552 hat geschrieben:
19.06.2020, 07:44
Die gegenwärtige Rassismus-Debatte hat nun auch die Heraldik erreicht. Zahlreiche Orts- und Familienwappen habe einen Mohren oder einen oder mehrere Mohrenköpfe im Wappen.
(..) Meiner Ansicht nach wäre es völlig falsch diese Wappen aufzugeben oder zu ändern. Vielmehr sollten sie vor dem Hintergrund der Zeit in denen sie Entstanden sind gesehen werden.
Politische-Korrektheits-Debatten im Zusammenhang mit dem Wappenwesen sind so überflüssig wie ein Kropf. Angenommen, man gibt die Wappen mit Mohrenfiguren auf oder ändert diese -- was kommt dann als nächstes? Ist doch klar:

* Anschließend müssen alle Wappen mit (nackten) Kinderfiguren aufgegeben oder geändert werden ...

* dann alle Wappen, in denen (nackte oder angezogene) Frauenfiguren nicht den derzeitigen Vorstellungen der Frauenemanzipation entsprechen ...

* dann alle Wappen, in denen Menschen- und andere Figuren (wie der Judenhut) nicht den derzeitigen Vorstellungen der Jüdischen Emanzipation entsprechen ...

* dann alle Wappen, in denen Gewalttaten heroisiert werden (in denen beispielsweise abgeschlagene Türkenkopffiguren vorkommen) ....

* dann alle Wappen, in denen Figuren mit Symbolen vorkommen, die historisch belastet sind (also zum Beispiel Symbole, die von autoritären, faschistischen, nationalsozialistischen, kommunistischen und anderen antidemokratischen, ideologischen oder unmenschlichen Systemen irgendwann instrumentalisiert wurden, also so was wie die Swastikafiguren, Hammer- und Sichelfiguren, Wolfsangelfiguren, Triskelefiguren, Totenkopffiguren, Pfeil-/Krückenkreuzfiguren, Blitzfiguren ...)

* dann alle Wappen, in denen Darstellungen von Wappentierfiguren vorkommen, die nicht den derzeitigen Vorstellungen des Tierschutzes entsprechen ...

* dann alle Wappen mit ... -- die Liste kann endlos so weitergeführt werden.

So berechtigt und nachvollziehbar die heutige Kritik an Mohren- und anderen heraldischen Figuren zweifellos ist, das Aufgeben oder Ändern von ihnen ist wie der Versuch, die Vergangenheit umzuschreiben oder auszulöschen. Aber wer sind wir ohne die Vergangenheit? Umgekehrt wird ein Schuh draus: Mohren- und die anderen, oben genannten Figuren sind "aufzuheben" (sic!) -- in der dreifachen, von Hegel verwendeten Bedeutung des Wortes, damit wir verstehen, wo Wappenführende in der Vergangeheit herkamen und wohin wir heute und morgen wollen ...

1001 Grüße
Zuletzt geändert von Berlingo am 19.06.2020, 09:35, insgesamt 1-mal geändert.

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Gerd
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Re: Rassismus-Debatte erreicht die Heraldik

Beitrag von Gerd » 19.06.2020, 09:34

Den Anmerkungen von Berlingo kann ich nur folgen. Was ist denn mit Wappen wo der Kopf eben nicht schwarz ist? Das ist dann doch ebenfalls diskriminierend Menschen hellerer Hautfarbe gegenüber. So könnte man das ganze fortsetzen wie von Berlingo beschrieben und alle führen einen blanken Schild.
Genauso könnte man rufen:"Verhüllt die "Monalisa"! Das ist diskriminierend Frauen gegenüber diese nackt zu zeigen."
Ich finde eine solche Debatte in Sachen Kunst, und dazu zählen auch Wappenzeichnungen, für völlig daneben und deplaziert.
Mit besten Grüssen
Gerd
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Re: Rassismus-Debatte erreicht die Heraldik

Beitrag von Claus J.Billet » 19.06.2020, 09:54

Alleine diese "Rassismus-Debatte" ist lächerlich. !
Wer Geschichte und Begrifflichkeiten nicht kennt, sollte besser schweigen.
Hier darf ich mich meinen Vorrednern in vollem Umfang anschließen :!:

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Jochen
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Re: Rassismus-Debatte erreicht die Heraldik

Beitrag von Jochen » 19.06.2020, 10:58

Ne suy plus vil que les aultres

jochen

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HFRudolph
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Re: Rassismus-Debatte erreicht die Heraldik

Beitrag von HFRudolph » 19.06.2020, 17:46

Das hatten wir doch bestimmt schon einmal alles. So pauschal kann ich mich dem Tenor nicht anschließen nach dem Motto, alles was alt ist, ist auch ok. Alter ist weder ethisch noch ästhetischer Selbstzweck, Tradition schon gar nicht.

Es gibt Sachen, die sind weder ethisch, noch ästhetisch akzeptabel - und die will dann auch keiner haben, es sei denn, jemand vertritt die entsprechende Position.

Das Verständnis und die Bedeutung der jeweiligen Zeit ist aber nicht zu jeder Zeit gleichbedeutend. Ein schwarzer "Mohrenkopf", der 400 Jahre alt ist, ist meines Erachtens keine Diskriminierung, während es ein Schwarzer in Ketten aus der Südstaatenzeit durchaus sein kann - wobei ich eine Familie mit "Mohrenkopf" im Wappen kenne und dort will es eben gerade wegen des nicht immer gleichen Betrachterhorizonts keiner mehr führen. Ein nackter Reiter mit Lanze auf einem Pferd ist ein ebensolcher, beim alten Stadtwappen von Buchholz ist es als „Niedersachsenstürmer“ eben ein Nazi-Symbol. Obwohl ich es dennoch gerne in Farbe ansehen würde… Eine Wolfsangel ist nicht immer ein Nazisymbol - es gab mal einen Fall, wo die Polizei jemandem ein T-Shirt wegnahm und beschlagnahmte und dann feststellen musste, dass es sich um ein heutiges Ortswappen handelt...

Wir sollten aber die intellektuelle und künstlerische Freiheit haben, auch faschistische Ästhetik ansehen zu dürfen, dann aber eben auch unter historischen Gesichtspunkten. Wenn man sie 1:1 übernimmt und jetzt verwendet, braucht man sich aber nicht zu wundern, wenn sie so assoziiert wird: Die einzige Frage, die sich dann stellt, wenn diese Verbindung inhaltlich nicht besteht, ist doch die, ob sich die Kunst der Moral des Ameisenvolkes beugen muss (nein). Für den deutschen Michel ist das natürlich ein abzuratender Tanz auf dem Vulkan.

Die künstlerische Freiheit legt den Heraldiker aber auch nicht fest, einen schwarzen Kopf in einer heutigen Zeichnung als möglicherweise rassistische Karikatur wiederzugeben, wie beim Ratzinger-Wappen. Man kann einen schwarzen Kopf ja durchaus mit nordischen Gesichtszügen wiedergeben - pardon, das sollte man so wohl nicht mehr sagen.

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