99% ohne Führungsberechtigung

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Kleinschmid
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99% ohne Führungsberechtigung

Beitrag von Kleinschmid » 13.03.2017, 22:31

Hat jemand gestern bei 3sat die Sendung "Ahnenforschung: die Suche nach den Wurzeln" (19:10-19:30) gesehen?
Die schweizer Produktion zeigte einen interessanten Querschnitt zum Thema: Vom Lesen der alten Schrift, bis zur Auswanderung nach Amerika u. natürlich durften die Familienwappen nicht fehlen. Dazu wurde die Firma Pro Heraldica aus Stuttgart vorgestellt, die nach eigenen Angaben eine der umfangreichsten Siegelarchive Deutschlands besitzt. Als Dienstleistung wird u.a. die Prüfung der historischen Führungsberechtigung des angeblichen Familienwappens angeboten. Also ähnlich dem, was hier im Forum oftmals angefragt wird. Rolf Sutter, der wissenschaftliche Leiter der Firma, bemerkte zu solchen Anfragen: "Da entdecken wir in 99 Prozent der Fälle, daß das Wappen nicht in die Familie gehört, sondern daß es irgendein 'Wappentandler' im 19. Jahrhundert der Familie mal verkauft hat, weil sie den selben Namen hatte, wie ein Wappen in irgend einer der Wappensammlungen. Das geht natürlich nicht. Es gibt ein Wappenrecht, wonach das eben nicht statthaft ist."

99% - bemerkenswert!

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Claus J.Billet
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Re: 99% ohne Führungsberechtigung

Beitrag von Claus J.Billet » 13.03.2017, 23:50

@ Kleinschmid,
danke für Ihren Beitrag.

Diese 99% sind einer der Gründe, weshalb hier im "HiN"-Forum
- und auch in vielen anderen Foren -, wie zum Beispiel "Ahnenforschung.net",
http://forum.ahnenforschung.net/forumdisplay.php?f=67
oder auch im Forum : "Genealogy.net" - Ahnenforschung.org -
https://forum.genealogy.net/index.php?p ... oardID=142
immer wieder auf den Wappenschwindel aufmerksam gemacht wird. :!:
:arrow: Der leider auch heute noch stattfindet.
Wichtiger Grundsatz :
Namengleichheit ist nicht auch Wappengleichheit :!:
Unzählige Hinweise zum Wesen der Heraldik geben Aufklärung und bieten
Hilfestellungen an.

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R1126
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Re: 99% ohne Führungsberechtigung

Beitrag von R1126 » 14.03.2017, 20:40

Kleinschmid hat geschrieben:"Es gibt ein Wappenrecht, wonach das eben nicht statthaft ist."
Hmmm... Es gibt ein Wappenrecht? Ich würde mich nicht trauen zu sagen, es gäbe ich Deutschland ein Wappenrecht. Ein solches Wappen zu führen ist nicht statthaft - ja, das schon.

Die 99% überraschen mich auch etwas. Einen hohen Prozentsatz hätte ich vermutet, aber nicht 99%.
http://www.illustrationen-wappen.de
De Nihilo Nihil (aus nichts wird nichts)

Frank Martinoff

Re: 99% ohne Führungsberechtigung

Beitrag von Frank Martinoff » 14.03.2017, 23:17

hmmm .... 99% :!: ich bezweifele das,
...ist aber lukrativ :roll:

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Claus J.Billet
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Re: 99% ohne Führungsberechtigung

Beitrag von Claus J.Billet » 15.03.2017, 00:47

schmunzel ... :wink:
Zitat:
" Rolf Sutter, der wissenschaftliche Leiter der Firma, bemerkte zu solchen Anfragen: "Da entdecken wir in 99 Prozent der Fälle, daß das Wappen nicht in die Familie gehört, sondern daß es irgendein 'Wappentandler' im 19. Jahrhundert der Familie mal verkauft hat, weil sie den selben Namen hatte, wie ein Wappen in irgend einer der Wappensammlungen." ...

Nun ja, man mag diese 99% nicht auf die gesamten Wappen-Vorkommen beziehen, sondern wohl nur auf die Fälle, welche bei der Firma nachgefragt haben und um Aufklärung gebeten haben.
(So hatte ich es verstanden.) :lol:

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Re: 99% ohne Führungsberechtigung

Beitrag von Kleinschmid » 15.03.2017, 07:53

Claus J.Billet hat geschrieben:Nun ja, man mag diese 99% nicht auf die gesamten Wappen-Vorkommen beziehen, sondern wohl nur auf die Fälle, welche bei der Firma nachgefragt haben und um Aufklärung gebeten haben.
Richtig! Die Firma bietet solche Überprüfungen als Dienstleistung an. Ob Herr Sutter hierzu tatsächlich eine Statistik führt, wurde nicht deutlich.

Es gibt dabei m.E. einen wichtigen Unterschied zu gleichlautenden Anfragen hier in Forum: Hier sind die Fragesteller naturgemäß sehr zurückhaltend. Wer aber bei dieser Firma anfragt, der muß sicher mehr von seiner Familie preisgeben, sonst fangen die erst gar nicht mit der Recherche an oder es wird natürlich viel teurer.

Also: Wenn bei einem fragwürdigen Wappen nur genügend Informationen zur Familie vorliegen, endet eine Überprüfung der Führungsberechtigung in den allermeisten Fällen mit negativem Ergebnis. Hier im Forum kommt man daher nur auf? 67 Prozent?

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Claus J.Billet
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Re: 99% ohne Führungsberechtigung

Beitrag von Claus J.Billet » 15.03.2017, 08:38

@ Kleinschmid

Danke, sehe ich genau so. :lol:

Die oben genannte 99%-Zahl relativiert sich damit durch die einzelne Betrachtung.
Aus eigener Erfahrung, und ohne eine Statistik, dürften die vermuteten 67% :idea:
von Herrn Kleinschmid durchaus im Bereich der Wahrscheinlichkeit liegen, leider. :(

Frank Martinoff

Re: 99% ohne Führungsberechtigung

Beitrag von Frank Martinoff » 15.03.2017, 15:33

... die 67% von Herrn Billet, nehme ich gerne als faktum :wink:

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Jochen
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Re: 99% ohne Führungsberechtigung

Beitrag von Jochen » 16.03.2017, 10:15

Ein Problem der Statistik ist, das wurde ja schon festgestellt, die Auswahl und Bewertung der Einzelobjekte.

Es gibt immer einen Graubereich, der die statistische Auswertung in die eine oder andere Richtung ausschlagen lassen kann.

Beispiel: Familie Müller führe seit 1550 ein bestimmtes Wappen. Das gleiche Wappen werde von der Familie Miller seit – sagen wir: 1720 geführt.

Eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen den Müllers und Millers sei nicht nachweisbar.

Bei diesen Zeitvorgaben würde ich persönlich den Fall eindeutig „weiß“ beurteilen. Will sagen: Ich sähe nicht, wieso die heutigen Millers kein Recht hätten, das Wappen weiterführen zu dürfen.

Wenn die Millers das Wappen allerdings erst seit 1960 führen würden, würde ich persönlich sagen, hier liegt eindeutig „Schwarz“ vor.

Und zwischen 1720 und 1960 ginge es dann irgendwann, irgendwo von „hellgrau“ in „dunkelgrau“ über.

Vielleicht liegt die Grenze zwischen "hell-" und "dunkelgrau" bei 1871.

Der Heraldiker Schmidt-Wattenscheid hat aber vielleicht eine ganz andere Sicht der Dinge und setzt die Grenze bei 1806, und der Heraldiker Woyczeslawskowitsch bei 1919.

Je nach Strenge der Sichtweise verändert sich in solchen Fällen also auch die Statistik. Will sagen: Wer die Grenze bei 1820 zieht, wird ein anderes Ergebnis erhalten als der, der die Grenze bei 1920 zieht.

Es ist ja schon ein Gemeinplatz geworden, wie man mit Statistiken – ich sage mal neutral: „umgehen“ kann. Das will ich hier nicht aufwärmen, aber alles ist jedenfalls dann nicht schlimm, wenn nachvollziehbar ist, wie die Daten erhoben, und wie sie in die Statistik eingearbeitet wurden.
Ne suy plus vil que les aultres

jochen

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Re: 99% ohne Führungsberechtigung

Beitrag von Claus J.Billet » 16.03.2017, 10:46

Jochen hat geschrieben: ... Beispiel: Familie Müller führe seit 1550 ein bestimmtes Wappen. Das gleiche Wappen werde von der Familie Miller seit – sagen wir: 1720 geführt.
Eine verwandtschaftliche Beziehung zwischen den Müllers und Millers sei nicht nachweisbar.
Bei diesen Zeitvorgaben würde ich persönlich den Fall eindeutig „weiß“ beurteilen. Will sagen: Ich sähe nicht, wieso die heutigen Millers kein Recht hätten, das Wappen weiterführen zu dürfen. ...
------------------------------------------------
:arrow: :?: :?:

...oder habe ich da jetzt was falsch verstanden. :?:
Miller sollte die Finger vom Wappen Müller lassen.
Familien-Wappen sind auf den Namen (Schreibweise) eingetragen.

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Re: 99% ohne Führungsberechtigung

Beitrag von Jochen » 16.03.2017, 10:51

Wenn Millers das Wappen seit 1720 unbeanstandet führen, dann ist jedenfalls meine Meinung, daß sie das weiterhin tun dürfen.
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Re: 99% ohne Führungsberechtigung

Beitrag von Claus J.Billet » 16.03.2017, 11:24

@ Jochen
Sorry, ich will hier keine Diskussion anzetteln, aber ...
in einer Sammlung ist das Wappen "Müller" eingetragen
und genau das gleiche Wappen dann auch unter "Miller" :?:
(ohne minimale Änderungen)
Da wurde wohl kein Abgleich gemacht und die eintragende Wappenrolle
hat geschlafen.
Wenn dies korrekt sein soll, weshalb dann noch überhaupt eine Eintragung. :?:
Auch "alte Wappen" sollten nicht angetastet werden.

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Re: 99% ohne Führungsberechtigung

Beitrag von Kleinschmid » 16.03.2017, 11:37

Jochen hat geschrieben:Will sagen: Wer die Grenze bei 1820 zieht, wird ein anderes Ergebnis erhalten als der, der die Grenze bei 1920 zieht.
Wie wäre es mit 44 Jahren?
Für den Adel in Preußen gab es nämlich etwas in der Art: Allg. Landrecht von 1794, §10, II.: "Wer entweder selbst oder dessen Vorfahren vierundvierzig Jahre hindurch sich adliger Prädikate und Vorrechte ruhig bedient und also ein ausdrückliches oder stillschweigendes Anerkenntnis des Staats für sich hat, für den streitet die rechtliche Vermutung, daß ihm der Geschlechtsadel wirklich zukomme." Der Paragraph war nach meiner Kenntnis noch bis in den Ersten Weltkrieg hinein in Kraft und wurde vom Heroldsamt in Berlin auch dementsprechend beachtet. Es gab bspw. den Fall der Familie (von) Lieben, die den Adel eben nur 43 Jahre führte und deshalb das Heroldsamt die weitere Führung 1912 untersagte.

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Claus J.Billet
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Re: 99% ohne Führungsberechtigung

Beitrag von Claus J.Billet » 16.03.2017, 12:00

Alles soweit richtig :wink:

Mir geht es jedoch um den heutigen IST-Stand der Eintragungs-Voraussetzungen
in den Wappenrollen.
Wir sollten, hier im Forum, unsere Leser nicht mit "alten Bestimmungen" irritieren.

Irgendwie habe ich den Eindruck, wir reden aneinander vorbei. :oops:

Joachim v. Roy
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Führungsberechtigung

Beitrag von Joachim v. Roy » 16.03.2017, 12:04

Im „Adelslexikon“, Bd. VII, Limburg a.d. Lahn 1989, S. 348, ist über die Familie v. L i e b e n zu lesen:

„Aus der Mark Brandenburg stammendes Geschlecht, dessen Stammreihe mit Hans Lüben, urkundlich 1699 bis 1709, Fischer in Keitz bei Freienwalde an der Oder, beginnt. Sein Enkel Johann Friedrich, * 1726,
+ 1815, wird als Königlich preußischer Offizier seit 1762 „Lieben“ und im Oberstleutnants-Patent von 1806 „v. Lieben“ genannt. - Preußischer A d e l s s t a n d durch Allerhöchste Kabinettsordre Berlin 3. Dez. 1883, Diplom Berlin 23. März 1884 (für Alfred Lieben, Königlich preußischer Seconde-Lieutenant im 3. Feld-artillerie-Regiment).“

Eduard Grigoleit verfaßte hierzu den Beitrag „Der umstrittene Adel der v. Lieben“ (in: Ostdeutsche Familienkunde, Bd. 9 [1961], S. 396-398).

MfG

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